Leseprobe:

Das falsche Paradies

Es war bereits 22:00 Uhr, als Siebels an der Tür von Peter und Maria Niehaus den Klingelknopf drückte. Von hier aus erkannte er nur schemenhaft die moderne Villa, die sich hinter einem lang gestreckten Garten befand. Am Eingangstor hing ein großes Messingschild: Niehaus-Consulting.

Eine bedrückende Stille umhüllte die beiden Kripobeamten. Den Eltern die Nachricht vom Tod ihres Kindes zu überbringen war eine Aufgabe, für die sich weder Till noch Siebels als geeignet ansahen.

»Wer da?«, fragte eine energiegeladene Männerstimme aus der Sprechanlage.

Die Videokamera summte leise. Siebels schaute in die Kamera. »Guten Abend Herr Niehaus, wir sind von der Kripo Frankfurt und müssen Sie dringend sprechen. Es handelt sich um Ihre Tochter Tanja.« Siebels hielt seinen Ausweis vor die Kamera, der Türöffner wurde betätigt, schweren Schrittes gingen Siebels und Till zum Eingang der Villa. Dort erwartete sie Peter Niehaus. Siebels schätzte ihn auf Ende vierzig. Schlank, durchtrainiert, hohe Stirn. Ein Mann, der im Leben Erfolge hatte, das sah man ihm an.

»Was ist mit meiner Tochter? Hat sie Dummheiten gemacht? Ist etwas passiert?«

Siebels holte eines der Fotos aus der Tasche, das der Polizeifotograf am Morgen im Brentano-Bad aufgenommen hatte. »Ist das Ihre Tochter Tanja?«

»Ja, das ist sie.« Niehaus wich langsam die Farbe aus dem Gesicht, er starrte sekundenlang auf das Foto. Er stammelte. »Ist sie ... sie sieht so blass aus ... was ist das für ein Foto?«

»Es tut mir leid Herr Niehaus, ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter tot ist.«

»Tot? Wieso tot? Das kann nicht sein. Sie müssen sich irren.«

Siebels nahm Niehaus am Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. »Ist Ihre Frau da, Herr Niehaus?«

»Ja, aber sie schläft bereits. Nun sagen Sie mir schon, was passiert ist.« Niehaus ging zur Bar und schenkte sich einen Cognac ein.

»Ihre Tochter wurde heute früh in Frankfurt im Brentano-Bad tot aufgefunden. Sie wurde letzte Nacht erwürgt.«

»Im Schwimmbad? Sie wurde umgebracht? Von wem?« Niehaus hatte Mühe zu sprechen, seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, seine Hand zitterte, mit einem Schluck trank er seinen Cognac aus.

»Wir haben keinen Hinweis auf einen möglichen Täter. Hatte Ihre Tochter einen Freund?«

»Nein, sie lebte in keiner festen Beziehung. Sie wollte immer ihre Freiheit haben, unabhängig sein. Bis vor einigen Monaten war sie mit einem Kollegen von der Deutschen Bank eng befreundet. Ein sehr netter und integerer Mann. Aber auch das war wohl nicht für die Dauer bestimmt.« Niehaus flüsterte seine Worte vor sich hin, Siebels und Till mussten sich dicht neben ihn setzen, um ihn zu verstehen. Sein Blick ging ins Leere, eine Träne lief ihm über Wange.

»Wie heißt der ehemalige Freund Ihrer Tochter?«, wollte Till wissen.

»Olaf. Olaf Kreuzberger. Er ist bei der Deutschen Bank als Abteilungsleiter beschäftigt. Tanja hat in seiner Abteilung gearbeitet. Bitte gehen Sie jetzt. Ich will allein sein.«

Siebels gab ihm seine Karte. »Bitte rufen Sie mich morgen an. Sie müssen Tanja identifizieren und wir werden noch einige Fragen an Sie haben.«

Niehaus zeigte keinerlei Reaktion, er schaute ins Zimmer, völlig geistesabwesend.

 

 

Mein Tagebuch, 12. Januar 2000

 

Gestern hatte ich ein Erlebnis. Ein wunderbares Erlebnis, das ich nie vergessen werde. War es Schicksal? Ich glaube, es war ein Wegweiser für viele weitere Erlebnisse, die ich noch haben werde. Und der Weg, den ich nun gehen will, den will ich festhalten in meinem Tagebuch. Oder soll ich es besser Erlebnisbuch nennen?

 

Mein Tagebuch beginnt am 12. Januar 2000. Ich bin in der Steiermark. Wir verbringen hier mit der Berufsschulklasse unsere Klassenfahrt auf einer Skifreizeit. Wir sind alle angehende Bankkaufleute. Noch ein halbes Jahr haben wir vor uns, dann finden endlich die Abschlussprüfungen statt. Mit mir sind wir nur fünf Jungs in der Klasse. Und dreizehn Mädchen.

 

Das Skifahren liegt mir nicht. Aber die schneeweiße Landschaft ist sehr schön. Am Abend des 11. Januar sind meine Klassenkameraden zum Dorf hinuntergegangen. Das Dorf befindet sich circa zwei Kilometer von unserer Jugendherberge entfernt. Im Dorf gibt es diese Disco. Ich hatte keine Lust auf Disco. Ich blieb in der Herberge. Im Keller war die Sauna. Ich las die letzten Seiten von meinem Buch und als ich es ausgelesen hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten. Ich freute mich darauf, in der Sauna zu schwitzen. Als ich in den Keller kam, hörte ich Stimmen aus der Sauna. Ich dachte eigentlich, die anderen seien alle im Dorf und wunderte mich. Mit leisen Schritten näherte ich mich der Holzkabine. Als ich nur noch einen Schritt von der Saunatür entfernt war, konnte ich durch die Glasscheibe in der Tür schemenhaft die Gestalten von drei Saunagängern erkennen. Neugierig näherte ich mich der Tür und spähte durch das Glas. Was ich dann sehen durfte, ließ mein Herz wie wild schlagen. Drei meiner Klassenkameradinnen vergnügten sich auf der Holzbank im Inneren der Sauna. Ich erkannte Tanja, Johanna und Jenny. Splitternackt räkelten sie sich auf ihren Handtüchern und genossen sichtlich den Abend in Abwesenheit von Lehrern und Mitschülern. Ich vergaß alles um mich herum und starrte durch die Scheibe. Sie waren so schön, so wunderschön. Sie waren mit Abstand die drei schönsten Mädchen der Schule und ich sah sie, so wie Gott sie erschaffen hatte. Mein Blick wanderte am Körper von Tanja entlang. Ich sah ihr Gesicht von der Seite. Ihr perfektes Gesicht. Wie oft hatte ich sie schon heimlich beobachtet, wenn sie in der Pause über den Schulhof geschlendert war oder im Unterricht wie eine Königin auf ihrem Platz thronte. Schon oft war meine Fantasie dabei mit mir durchgegangen und ich hatte mir versucht vorzustellen, wie Tanja nackt aussehen würde. Was ich in der Sauna sehen durfte, übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Mein Blick wanderte gierig über Tanjas feste Brüste, über ihren flachen Bauch, an ihren wunderschönen Beinen herunter. Ich kam mir vor, wie ein Verdurstender in der Wüste. Nur zwei Meter entfernt von mir sprudelte das frische Wasser in einem Brunnen, doch der Brunnen schien trotz seiner Nähe unerreichbar für mich. Ich hätte alles dafür gegeben, in diesem Moment auf der anderen Seite der Saunatür sitzen zu dürfen. Neben Tanja, zwischen Tanja und Jenny. Gegenüber von Johanna. Ich schaute ins Schlaraffenland und wusste, dass ich dort nicht willkommen war. Tanja hatte mich noch nie beachtet und wenn doch, dann nur, um sich über mich lustig zu machen. Das Gleiche kann ich getrost auch über Johanna und Jenny sagen. Ich war schon immer ein Verlierer-Typ, von Frauen wie Tanja oder Jenny werde ich niemals beachtet werden.

 

Gebannt schaute ich durch die kleine Scheibe, beobachtete, wie Jenny sich plötzlich dicht neben Tanja auf das Handtuch setzte. Die beiden waren so nah vor meinem Auge, ich hätte die Schweißperlen auf ihrer glänzenden Haut zählen können. Sie unterhielten sich, fast kam es mir so vor, als würden sie miteinander flirten. Jenny legte ganz unvermittelt ihre Hände auf Tanjas Schultern und fing an, sie zu massieren. Tanjas entspannter Gesichtsausdruck zeugte nur allzu deutlich von ihrem Wohlbefinden. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, in diesem Moment mit meinen Händen diesen Gesichtsausdruck auf Tanjas Gesicht zu zaubern. Aber ich hätte mein linkes Bein darauf gewettet, dass Tanja das niemals zulassen würde. Wie eine Katze schmiegte sie sich an Jenny, nie und nimmer hätte ich gedacht, dass die beiden sich so nahe stehen. Die langen schwarzen Haare und die gebräunte Haut von Jenny bildeten einen wunderbaren Kontrast zur hellblonden Tanja, deren blasser Teint die Zartheit ihrer Haut hervorhob. Auch die Dritte im Bunde bestach durch ihre fraulichen Attribute. Johanna lag gegenüber von ihren Freundinnen mit dem Bauch auf der Holzbank und schenkte mir einen freizügigen Blick auf ihren entzückenden Rücken. Ich drückte mir fast die Nase an der Scheibe platt, damit ich auch Johannas knackigen Po mit meinen Augen verschlingen konnte. Ich sog das mir dargebotene Bild in allen Einzelheiten in mich auf. Nie wieder in meinem ganzen Leben würde sich mir eine solche Herrlichkeit auftun, dachte ich mir und stierte mit großen Augen auf die nackten Körper der drei Mädchen. Während mein Blick noch auf der verträumt daliegenden Johanna lag, passierte es. Was ich in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte, spielte sich plötzlich ganz dicht vor meinen Augen ab. Mein Herz raste, als ich es sah und ich musste eine ganze Weile hinschauen, bis ich auch glaubte, was ich sah. Tanja und Jenny küssten sich. Innig und zärtlich kosteten sie einander, ohne Scheu schenkten sie sich gegenseitig einen leidenschaftlichen, langanhaltenden Kuss. Am liebsten wäre ich in die Sauna hineingestürmt, um mir dieses wunderbare Schauspiel nicht durch die störende, vom Wasserdampf beschlagene Scheibe betrachten zu müssen.

 

Da passierte es. Johanna drehte sich herum und sah mich. Ich wollte weg, doch ich blieb wie angewurzelt stehen, unfähig, mich zu bewegen. Und dann sah Jenny mich auch. Tanja bemerkte nun ebenfalls, dass etwas nicht stimmte. Sie wandte ihr Gesicht von Jenny ab und blickte jetzt auch zu mir. Alle drei sahen sie mich verwundert durch die Scheibe an. Dieser Moment kam mir wie eine Ewigkeit vor. Eine Ewigkeit, in der nichts passierte. Nur die vorwurfsvollen Blicke dreier wunderbarer Frauen trafen mich wie vernichtende Blitze.

 

Plötzlich stand Tanja auf, kam auf mich zu und öffnete die Saunatür. Dabei lächelte sie mich an. Sie ging nicht, sie schwebte. Ihr nackter Körper schwebte auf mich zu. Aufreizend schlenderte sie mir entgegen. Mein Blick war starr auf ihre festen Brüste gerichtet. Ich wollte weglaufen, konnte nicht. Wollte wegschauen, konnte nicht. Da stand sie nun vor mir. Die Frau meiner Träume. Nackt und selbstbewusst posierte sie vor mir, ich kam mir so unnütz und schäbig vor. Fühlte mich wie ein kleiner Junge, der beim Stehlen ertappt wurde und nun auf seine Strafe wartete.

 

Sie stand dicht vor mir, kam noch näher. Ihre blauen Augen, die immer strahlten, blickten mich eindringlich an. Ihr blondes Haar hing nass auf ihren Schultern. Ich stand regungslos da, ihr Anblick betäubte mich förmlich. Sie lächelte mich an, hob ihre Hand und streichelte über meinen Kopf. Sie fuhr mit ihrem Zeigefinger über meine Lippen, presste ihn zwischen meine Lippen. Ich lutschte ihren Finger, wie ein Baby an seinem Schnuller. Dann sagte sie laut, dass ich ein kleiner geiler Spanner wäre. Ich wollte es verneinen, konnte nicht, ich musste an ihrem Finger lutschen. Jenny und Johanna kicherten laut im Hintergrund. Tanja zog langsam ihren Finger aus meinem Mund. Mein Gesicht lief rot an. Tanja überlegte laut, ich wäre nun in ihr Geheimnis eingeweiht. Wenn ich ein Gentleman sein wollte, müsste ich dieses Geheimnis für mich behalten. Ich nickte. Tanja redete aber weiter auf mich ein. In einer Stunde sollte ich in ihr Zimmer kommen, dort wollte sie einen Vertrag mit mir machen, um sicher zu gehen, dass unser kleines Geheimnis auch geheim bleiben würde. Dann drehte sie mir ihren Rücken zu und ging zurück zu Jenny und Johanna. Aufreizend wackelte sie beim Gehen mit ihren Hüften. Mein Kopf war tiefrot angelaufen, mein Herz klopfte rasend schnell und mein Blick starrte auf ihren runden Hintern. Sie drehte sich noch einmal herum, winkte mir zu und gab mir zu verstehen, dass ich endlich gehen sollte. Ich ging. Aber schon eine Stunde später sollte ich sie wiedersehen dürfen. Ich fragte mich, was für einen Vertrag sie bloß mit mir machen wollte.

 

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© Autor Stefan Bouxsein