Leseprobe:

Kurz und Blutig: Blutschande

Blutschande

 

Mario Fechner schaute nachdenklich aus dem Fenster seines Büros. Sein Blick folgte der Frau, die vor wenigen Minuten ihre Aussage zu den beiden ungeklärten Mordfällen zu Protokoll gegeben hatte. Bis vor zwei Stunden gab es bei diesem Fall trotz fieberhafter Bemühungen noch keine brauchbare Spur. Jetzt hatte er diese ungeheuerliche Geschichte auf seinem Tonband. Wenn die Geschichte dieser Frau stimmte, dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das dritte und letzte Opfer gefunden und den Abschluss einer makabren Familientragödie dokumentieren würde.

Er musste das Band noch einmal in Ruhe abhören. Er spulte es zurück und betätigte anschließend die Wiedergabe-Taste des Rekorders.

„Freitag, der 10. September 2014, 16.30 Uhr. Kriminalhauptkommissar Mario Fechner vernimmt die Zeugin Frau Helena Teichmann. Gegenstand der Aussage von Frau Teichmann sind die beiden ungeklärten Mordfälle mit den Aktenzeichen TW-KK1-15 und TW-KK2-15.

Frau Teichmann, Sie behaupten, die beiden männlichen Opfer persönlich gekannt zu haben, obwohl deren Identität noch nicht geklärt werden konnte.“

„Ja, das stimmt. Ich habe aus der Zeitung von den beiden Mordfällen erfahren. Als ich gelesen habe, wo die Leichen jeweils gefunden wurden, bin ich hellhörig geworden. Die Beschreibung der Opfer beseitigte dann alle Zweifel. Auch die Umstände, unter denen man die Leichen gefunden hat, bestätigten mir meinen Verdacht. Ich bin mir sicher, die Toten gekannt zu haben.“

„Welche Umstände meinen Sie?“

„Wenn es stimmt, was in der Zeitung steht, wurde beiden Opfern das Geschlechtsteil mit einem Messer abgetrennt.“

„Das ist richtig. Sie haben also einen Verdacht, warum die Opfer verstümmelt wurden?“

„Ja, den habe ich. Aber das ist eine lange Geschichte. Lassen Sie mich bitte von vorne erzählen.

Es begann im Sommer 1977. Wir waren eine lustige Gruppe von Hippies. Der verlassene Bauernhof, auf dem man die erste Leiche gefunden hat, war damals unser Zuhause. Erwin, Hans, Theo, Sabine, Annette und ich, wir lebten dort in einer Kommune, praktizierten die freie Liebe und diskutierten viel über Politik und die Gesellschaft. Eines Tages war Hans mit unserem VW-Käfer in die Stadt zum Einkaufen gefahren. Als er zurückkam, hatte er Bernd und Sarah dabei. Die beiden waren Geschwister und per Anhalter unterwegs gewesen. Hans hatte ihnen angeboten, die Nacht auf dem Hof zu verbringen. Die beiden hatten nichts dagegen einzuwenden, scheinbar irrten sie nur ziellos umher und waren dankbar für die Unterkunft. Sarah war erst fünfzehn und geistig zurückgeblieben. Ihr Bruder Bernd war Anfang zwanzig. Wir fragten nicht, woher sie kamen oder wohin sie wollten, wir nahmen sie wie selbstverständlich in unserer Mitte auf. Es sollte ja auch nur für eine Nacht sein. Es blieb allerdings nicht bei dieser einen Nacht. Bernd machte keine Anstalten, weiterziehen zu wollen und Sarah wich ihrem Bruder keinen Meter von der Seite. Sie war bildhübsch. Schwarze Locken umrahmten ihr Engelsgesicht, aber sie hatte das Gemüt einer Fünfjährigen. Als die beiden nach einer Woche immer noch bei uns lebten, wurde die Situation allmählich kompliziert. Wie ich ja bereits erwähnte, lebten wir damals in einer Kommune. Es waren die wilden siebziger Jahre, wir konsumierten Drogen und pflegten Gruppensex. Es war Sommer, unser Hof lag einsam und abgeschieden hinter Mais- und Weizenfeldern. An warmen Tagen liefen wir nur nackt über unseren Grund und Boden. Auch Sarah lief nur noch nackt herum, selbst wenn es kühl oder regnerisch war. Hans und ich haben uns damals oft auf dem Heuboden vergnügt. Am Anfang ist es uns gar nicht aufgefallen, aber Sarah war dann immer in unserer Nähe und hat uns zugeschaut. Manchmal saß sie urplötzlich neben uns und hat mit ihren Puppen gespielt. Von Sex hatte sie keine Ahnung. Sie dachte, wir würden ein lustiges Spiel zusammen spielen. Mir wurde das immer unangenehmer, es passte nicht in mein Weltbild. Ein geistig minderbemitteltes Mädchen von fünfzehn Jahren, dessen Figur sich gerade zu der einer reifen Frau entwickelte, war in meiner Philosophie nicht vorgesehen.“

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© Autor Stefan Bouxsein